Holger Mertens

Mehr sein, als schein

Veröffentlicht am: 8. Dezember 2008Von

12-2008 – Vorurteile werden oft durch Klischees gebildet. Meist werden vorschnell Menschen durch diese in eine Schublade gesteckt, wo sie vielleicht überhaupt nicht hinein gehören. Mir ist so ein Fall passiert. Danach musste ich für mich durch die eigenen Erfahrungen neu sortieren.

Alles nur Vorurteile

Holger MertesIch war wieder für den ADAC unterwegs. Das Telefon klingelte am Sonntagnachmittag gegen 15:30 Uhr, und es schien ein einfacher und schneller Einsatz zu werden. So glaubte ich es zumindest, als ich meinen Abschleppwagen bei der Zentrale abholte und mich auf den Weg zur A565 Richtung Meckenheimer Kreuz machte. Ich hatte extra den Neunsitzer aus der Halle geholt, denn die Gruppe mit der Panne war mit acht Leuten am Maximum des Möglichen angekommen.

Ein älterer VW-Bus T3 hatte Probleme mit dem Motor und der gelbe Engel hatte schon sein Glück versucht, jedoch ohne Erfolg. Also musste die Mannschaft per Abschleppwagen zum Ziel gebracht werden. Vor einem Einsatz macht man sich wenig Gedanken über die Leute mit denen man meistens längere Zeit bei einem Einsatz zusammen im LKW sitzt, und sich über dies und das unterhalten wird. Eher schwirren einem Dinge durch den Kopf wie: habe ich auch alle Gurte dabei, oder wie wird die Verkehrslage bei der Fahrt. Der Pannenwagen sollte auf einer Raststätte an der A1 Richtung Blankenheim bei Km 143 stehen. Dem Kennzeichen nach musste es ein in Frankreich zugelassenes Fahrzeug sein. Naja, meine Französischkenntnisse waren gleich Null, aber das hatte bis jetzt noch bei keiner Fahrt ein allzu großes Hindernis da gestellt. Mit Händen, Füßen und kleinen Skizzen war die Kommunikation in den Griff zu kriegen.

Ich fuhr auf die Raststätte, und sah schon von weiten den T3, der zu meinem ersten verwundern in olivfarbenen Bundeswehrgrün war. Als ich dann an das Fahrzeug kam und an die Türe klopfte, kurbelte jemand die Scheibe runter. Mir schoss eine Luft entgegen die man hätte in Scheiben schneiden können. Ein Hauch von Marihuana und Whisky untermalt von einem Brauereidunst begleitete den Eindruck. Dass ist keine Kaffeefahrt. Mich schauten zwei Augen aus einem Gesicht an, dass wahrscheinlich seit etwa drei Tagen kein Wasser mehr gesehen hatte. Der Typ auf dem Beifahrersitz hatte eine Rockerkluft mit allen Möglichen Aufnähern von bekannten Rockbands aus den 60er und 70er Jahren an. Mein Blick schweifte innerhalb kurzer Zeit von der Visage auf dem Beifahrersitz über die merkwürdige Gestalt auf dem Fahrersitz, bis hin in den Passagierraum des VW-Busses, wo noch sechs weitere recht verwahrloste Leute saßen.

Ich schaute auf meinen Auftrag, um sicher zu gehen dass das hier nicht meine Kunden waren, jedoch stellte sich aufgrund des Kennzeichens heraus, das waren die Leute die beim ADAC angerufen hatten und um Hilfe baten. Ich dachte nur bei mir: Lass den Kelch an mir vorüber gehen, womit habe ich das auf den Sonntagnachmittag verdient.

Mein erster Eindruck war sehr ernüchternd, und auf meine erste Frage hin, kam erst einmal keine Reaktion. Wie denn auch, dachte ich mir, die sind alle total breit und besoffen, und sprechen dazu nur Französisch. Plötzlich ging die seitliche Schiebetür auf, und einer der hinteren Passagiere stieg aus. Der Mann, etwa Mitte 50, streckte mir die Hand entgegen und begrüßte mich in bestem Hochdeutsch.

„Guten Tag, schön dass sie so schnell kommen konnten, unser Clubmobil hat uns im Stich gelassen, der Pannenhelfer hatte einen Motorschaden diagnostiziert, er tippte auf einen Kolbenklemmer. Nach seiner Aussage zu Urteilen, ist unsere Fahrt aus eigenen Kräften hier zu Ende.“

Der Mann setzte seine goldene Nickelbrille auf die Nase und übergab mir mehre Dokumente die zu seiner Person und dem Fahrzeug gehörten. Auf meine Frage, wo es denn hingehen sollte, antwortete er wiederum im perfekten Deutsch, kurz über die Grenze nach Frankreich hinter Zweibrücken im Saarland.

Nach dieser kurzen Konversation stiegen auch einer nach dem anderen aus dem Bus aus. Die ganze Truppe war im Schnitt zwischen 50 und 60 Jahre alt. Alles Herren, die durch aus einen gepflegten Eindruck im normalen Tageslicht machten. Jeder ließ es sich nicht nehmen, mir persönlich die Hand zu geben und mich auf Deutsch zu begrüßen. Obwohl alle schon in gesetzterem Alter waren, hatten sie Jeansjacken mit Lederwesten darüber an, und alle waren sie mit Aufnäher übersät. Naja, dachte ich mir, jetzt musst du die Fuhre übernehmen, komme was wolle.

Den Wagen hatte ich schnell aufgeladen, und die Leute aus dem Wagen hatten es sich auch schnell in der großen Kabine des Pannenschleppers bequem gemacht. Der Mann der mir seine Papiere am Anfang gegeben hatte, setzte sich auf meinen Beifahrersitz, um mit bei der optimalen Route zu helfen.

Wir kamen schnell ins Gespräch: Die Themen gingen von aktuell Politischem, über normales Allerweltsgeplänkel, bis hin zu hochfachlichen Themen der Mikrobiologie. Es stellte sich während der Fahrt heraus, dass ich es mit acht hoch gebildeten Menschen zu tun hatte, die entweder einen Ingenieurstitel oder sogar einen Doktortitel hatten. Es war sogar ein Jurist dabei, wenn ich mich recht erinnere. Die Herrn waren auf der Rückreise von einem Rockfestival, bei dem sie es richtig krachen haben lassen. Normalerweise würden sie auf ihren Harley`s zu dem Treffen fahren, jedoch war ihnen das Wetter zu schlecht gewesen, und als dann auch noch der gemietete Bus von einem Reiseunternehmen abgesagte hatte, mussten sie Kurzerhand den alten T3 aus der Scheune holen. „Ein altes Andenken an die Studienzeit“ sagte einer der Herren, der scheinbar noch nicht so alt war. Ich dachte nur bei mir: Nach deren Feier-Ritualien zu Urteilen, kein Wunder dass er schon etwas älter aussah, als er scheinbar war. Und dass hier und da mal ein kleiner Joint geraucht würde, das hätte noch niemand umgebracht.

Nach etwa drei Stunden Fahrt waren wir am Ziel. Nachdem ich dann den Bus vom Schlepper abgeladen, und die Papiere gemacht hatte, verabschiedete ich mich von den Herren. Sie gaben mir ein doch recht fürstliches Trinkgeld, und wünschten mir noch eine gute Heimfahrt.

Ich hatte danach weitere drei Stunden Zeit, um über die Hinfahrt nach zudenken. Meine Vorurteile konnte ich erst einmal ablegen. Man sollte versuchen den Leuten gegenüber hinter die Stirn zu sehen, erst dann sieht man den wahren Charakter.

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Foto ©  Redaktionsbüro Kebschull

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