FB Ferrari 512 TR
Ferrari 512 TestaRossa, das fliegende Relikt
Ein Ferrari erzeugt bei vielen auch Neid. Andere wiederum, so wie der Autor, die Erinnerung an die frühe Jugend, als man von solchen Autos geträumt hat. Damals stand ein schwarzer 512 Testarossa in der Stadtmitte, davor stand ein hagerer 12-Jähriger, der sich fragte, wer wohl so viel Geld für ein Auto ausgeben kann. Und noch brennender war die Frage, wie es wohl wäre mit einem solchen Auto (mit) zu fahren. Alles Warten brachte nichts, der Besitzer tauchte nicht auf. Also blieben die Fragen unbeantwortet…
Jetzt, gute 20 Jahre später, habe ich Gelegenheit zumindest die Antwort auf eine der Fragen zu finden. Wie es wohl ist, in so einem Auto mitzufahren. Besser noch, ich darf ihn selber fahren. Genau so einen wie er damals am Marktplatz in der Stadt stand. Ein Ferrari 512 Testarossa. Nur in gelb.
Das Alter sieht man ihm nicht an. Gut, das Design ist nicht mehr taufrisch, aber den Ferrari erkennt man sofort. Das klassische Sportwagendesign der achtziger Jahre, an dem sich auch so viele Japaner versucht haben. Die ewig lange Schnauze, obwohl außer einem kleinen Kofferraum nichts vorne untergebracht werden muss. Das kurze Heck mit dem mächtigen V12. Dieses Hinterteil ist so breit, dass selbst Jennifer Lopez vor Neid erblasst.
Wer aber die Motorhaube öffnet, um mal einen Blick in den Maschinenraum zu werfen, wird feststellen: hoppla, ich sehe ja einen Motor! Anders als bei den heutigen Autos kann man bei diesem Ferrari 512 Testarossa keinerlei Plastikabdeckung erkennen. Der namensgebende rote Kopf, Testa Rossa, zeigt sich ungeniert. Schön. Schade, solcherlei Schweißnähte wie man sie hier im Motorraum findet, würde bei einem modernen deutschen Auto kein Lehrling abzugeben wagen. Aber bei einem derart gereiften italienischen Kunstwerk, tut man das einfach nur als Eigenheit ab. Ist halt so. Sieht man eh nicht beim Fahren, und funktionieren tut es. Hat ja zwanzig Jahre gehalten.
Die Tür in eine andere Welt
Wenn man einmal die versteckten Türgriffe gefunden hat, hat man die Pforte in eine andere Welt geöffnet. Zum einen, in eine Automobilewelt von der die Allermeisten nur träumen können – zum anderen, in eine Welt, die seit langem untergegangen schien. Alles wirkt auf bizarre weise alt und doch vertraut.
Wer viele Autos, moderne Autos, testet, wird verdorben. Hier, irgendwo zwischen Kassettenfächern und Zigarettenanzünder wird die Erinnerung wach wie damals Autos waren. Und der hier war das unerreichbare obere Ende der Fahnenstange. Der Innenraum ist mit unterfüttertem schwarzem Leder bezogen. Das Radio ist versteckt unter einer Abdeckung. Ist auch gut so, so wie das aussieht wäre es keine optische Bereicherung. Das Handschuh-Fach ist schon interessanter. Geht auf Knopfdruck auf und beherbergt einen riesigen Schminkspiegel. Klar, ER fährt und SIE sitzt, sich schminkend, daneben. Jede Frau, die auf einer durchschnittlichen deutschen Straße in einem standesgemäß bewegten Ferrari 512 Testarossa sitzt, sich schminkt, und danach nicht aussieht wie der „Joker“ aus dem letzten Batman Film verdient allergrößten Respekt!
Zurück ins Auto. Einsteigen! Eher reinfalten. Knie irgendwie mit dem Lenkrad in Einklang bringen. Kopffreiheit ist mit etwa 2 (in Worten: zwei) cm eher knapp bemessen. Offene Schaltkulisse. Ja, typisch Ferrari. Dass der erste Gang dort ist wo viele den Zweiten haben sei nur am Rande erwähnt. Das Schlimmste sind die Pedale. Wo bitte sind die denn? Warum müssen die im Fußraum für den Beifahrer sein? So weit sind sie nicht wirklich, aber wo ein normales Auto die Bremse hat, ist bei unserem Ferrari 512 Testarossa die Kupplung. Die Bremse ist etwa da, wo ein ergonomisch konstruiertes Kraftfahrzeug das Gaspedal aufweist. Und rechts davon ist das Gaspedal. Alles ein Tribut der fetten Räder im riesigen vorderen Radkasten. Platz ist einfach Mangelware.
Den V12 zum Leben erwecken
Vor dem Anlassen schleichen Engelchen und Teufelchen in meinem Kopf umher und tauschen Argumente aus: Teufelchen: „V12 mit 5 Liter Hubraum“, Engelchen: “ …und 235er Schlappen ohne Servolenkung“, Teufelchen: „428 Cavalli, 280 Sachen Spitzengeschwindigkeit!“, Engelchen: „…kein ESP, kein Airbag, nicht eimal ABS!“.
Vielleicht sollte ich doch kneifen. In meinem Kopf rattert es gehörig. Der Respekt wird größer, aber die Neugierde gewinnt. Der Schlüssel der eben noch die Tür in diese Welt öffnete, erweckt eben diese Welt jetzt zum Leben. Mit dem typischen Ferrari Anlassergeräusch erwacht das Monster welches in den Untiefen der Zeit geschlummert hatte. Es faucht, es brüllt kurz, nur um sodann in einem gelangweilten Leerlauf zu verweilen, der allein schon für feuchte Hände sorgt. Instrumentencheck: alles gut. Wir können los. Leichter gesagt als getan. Die Kupplung ist recht schwergängig, noch dazu ungewohnt weit seitlich nach rechts verschoben. Dazu die Ganganordnung und eine Schaltung für die der Begriff „leichtgängig“ genauso falsch ist, als würde ich behaupten es sei eine Automatik. Dieses Gefährt jetzt noch durch die Baustellenbewährten Straßen Münchens zu bugsieren, ist eine echte Herausforderung. Überall viel zu enge Spuren. Im Rückspiegel sehe ich fast nur das eigene Heck, es ragt sehr prominent in den Sichtbereich. Der rechte Außenspiegel wird zu einem großen Teil von der A-Säule verdeckt, das, was er preisgibt, zeigt viel vom eigenen Heck. Bleibt der Innenspiegel. Der liegt auf gleicher Höhe wie die Scheinwerfer der heutigen SUV. Die überall präsenten „Tempo 30“ oder „Tempo 40“ Schilder machen die Situation nicht einfacher. Der Zeiger auf dem Tacho allein ist so dick, dass er etwa 20 km/h abdeckt. Die Spitze ist keine, eher stumpf das Ende. Man muss schon genau hinschauen, um zu erahnen, mit welcher Geschwindigkeit man umherschleicht. Hinzu kommt das lang übersetzte Getriebe. In den Dritten zu schalten ist schon eine Wohltat, an den Vierten denken wir erst gar nicht. Der fünfte ist utopisch. Aber langsam wird es lichter, die Straßen breiter und es sind wahnsinnige 60 km/h erlaubt.
Gänsehaut pur
Gut schätzen und hochschalten. Geht im fünften. Ohne Probleme. Aha! Dann, irgendwann nach einer gefühlten Unendlichkeit des Kriechens, die Autobahn. Der Verkehr „zäht“ mit knappen 100 dahin, dafür kommen wir in einen Tunnel. Fenster auf und runterschalten. Verdammt schaltet der hakelig! Der aus der erhöhten Drehzahl unter Last im Tunnel entstehende Sound ist genau das, was dieser Beitrag nicht zu vermitteln mag. Gänsehaut pur. Es ist, als würde auf jedem der zwölf Zylinder ein Engel mit einer Posaune sitzen – und alle geben ihr Bestes. Die Sinfonie des Himmels. Und der Tunnel lebt. Der Tunnel bebt. Der Ferrari schreit. Wir im Ferrari juchzen vor Glück. Die Welt ist schön!
Bei freier Fahrt merkt man ihm sein Alter kaum an
Irgendwann haben wir sogar ein kleines Stück freie Bahn. Das Cavallo rampante kriegt die Sporen und rennt locker in Richtung angegebene Höchstgeschwindigkeit. Ich bin nachhaltig beeindruckt. Viele der Verkehrsteilnehmer sind es auch. Sie schauen aus ihren aberwitzig hoch wirkenden, normalen PKW zu uns herab, nicken anerkennend und lächeln dazu.
Interessanterweise scheint sich niemand darüber zu ärgern, wenn dieser gelbe Freudenspender auf der linken Spur daherkommt. Es wirkt geradezu so, als bestätigten alle, dass das so sein muss. Irgendwie magisch, wie alle ehrfurchtsvoll die Spur frei machen. Lange bevor man den Mindestabstand erreicht hat. Gehen einfach beiseite und ordnen sich hinten ein.
Die wollen sicher alle nur den Sound genießen. Fast alle. Bei einem speziellen Kandidaten hatten wir viel Freude. Der Gute vergaß wohl, dass er einen Rückspiegel hat. In einem solch potenten Auto wie dem Ferrari 512 Testarossa unterwegs zu sein hat den Vorteil es genießen zu können. Rechts einordnen und abwarten, irgendwann wird er schon aufwachen. An dieser Stelle der Appell an alle Autobahnnutzer:
- Rechtsfahrgebot, auch bei drei Spuren muss man immer die Rechte nutzen, es sei denn man überholt gerade.
- 200 km/h ist schnell und schon weit jenseits der Richtgeschwindigkeit. Aber es gibt manche, die können und wollen noch schneller. Das sind die im Rückspiegel, die nicht kleiner werden.
- Es ist keine Schande sie vorbei zu lassen. Selbst ein (gut motorisierter) Diesel schafft 250 km/h, siehe unsere Beiträge zu Audi A5 TDI und Porsche Panamera Diesel.
Der betörende Sound macht deutlich was der Wagen zu leisten vermag, wir fliegen förmlich dem Ziel entgegen. Zeit und Raum verschmelzen, Lärm und harte Dämpfer werden relativ. Vergessen, dass keine Servolenkung oder sonstige Gimmiks an Bord sind. Wir sind eins. Der Ferrari und ICH. Und schon am Ziel. Schade.
Härtetest für Fahrwerk und Lenkung
Auf dem ADAC Fahrsicherheitszentrum (FSZ) in Augsburg kann der gelbe Fliegenkiller mal ein wenig die „Sau rauslassen“. Dank Baustellen auf der Trackstrecke ist es diesmal schwierig. Wir haben nur den kleinen Kurs. Und feucht ist es auch noch. Der Ferrari 512 Testarossa wird hier komplett nur im zweiten Gang gefahren. Bei den spitzen Kehren, kalten Reifen und feuchtem Untergrund reichen knapp über 2000 U/min, um das Heck zum Auskeilen zu bringen. Das geschieht dann recht plötzlich und ist dank fehlender Servo- Unterstützung knifflig beim Abfangen.
Das Feedback hingegen ist entsprechend klar. Ich kann genau spüren, wann das kurveninnere Rad zu blockieren beginnt oder was genau die Lenkachse gerade für einen Kiesel überfahren hat. Extrem klar. Hinzu kommt ein sehr direktes Einlenken mit sehr lange neutralem Grenzverhalten. Zu schnell in Kurven rein fahren wird mit leichtem Untersteuern verziehen. Wer aber den Berserker auf dem Gaspedal gibt, wird den wilden Ritt kaum ohne Kaltverformung überstehen. Gut gefallen hat das Schieben über alle viere in der Kreisbahn. Der Testarossa untersteuert hier nicht und lässt sich wunderschön in den Drift überführen. Seidenweich und glasklar zeigt er an, was er wann macht. Geht aber auf die Reifen, also lassen wir die Spielerei lieber wieder.
Sein Revier sind eh die schnellen Passagen. Da fühlt er sich wohl, und die Insassen auch. Das Beschleunigen auf die Autobahn hat etwas Aberwitziges: Lücke vorne anpeilen und reinbeschleunigen. Man orientiert sich zwangsläufig nach vorne, nicht nach hinten! Und kann dann entweder entspannt genießen, ja das geht, oder verdammt tief fliegen.
Fazit
Der Ferrari 512 Testarossa ist ein Relikt aus einer Zeit, da es offensichtlich keine Gleichstellungsbeauftragten gab. Ein Männerauto bei dem man noch zupacken muss, dafür aber entsprechend belohnt wird. In einem Ferrari 512 TR muss man leidensfähig sein, um dann richtig glücklich zu werden.
Linktipps:
- Ferrari 512 TR auf blog.autoplenum.de
- Unser Ferrari 512 TR auf YouTube
- Porsche 997 GTS
- Porsche Cayman R
Fotos © 2012 Redaktionsbüro Kebschull